Die Kuh hat ein schlechtes Klima-Image – zu Unrecht

28. Mai 2020

Kühe stossen viel Methan aus, sind schlechte Futterverwerter und sowieso ein guter Klima-Sündenbock. Doch wieso? Und stimmt das alles wirklich so? Weshalb gibt es Kühe überhaupt? Kann es sein, dass sie doch eine ökologische Funktion haben und wichtig für die Natur und sogar für das Klima sind? Und was hat Gras mit CO2-Speicherung zu tun? Um diese und weitere Fragen zu klären, muss man ganz vorne anfangen.

Kühe sind Grasfresser

Kühe wurden bereits vor rund 10’000 Jahren domestiziert. Sie stammen vom eurasischen Auerochsen ab, einem wilden Rind, welches früher in Europa häufig war und die Landschaft geprägt hat. Leider wurde der Auerochse durch den Menschen ausgerottet. Das vermutlich letzte Exemplar starb 1627 in Polen. Heute noch lebende Verwandte unseres Hausrindes sind zum Beispiel das Yak, der Wisent oder der amerikanische Bison (Büffel). Was haben all diese Tiere gemeinsam? Sie sind Wiederkäuer und können mit Hilfe der Symbiose mit vielen Mikroorganismen in ihrem Pansen Gras zu Energie verwandeln. Und genau hier liegt der entscheidende Punkt. Ebenso wie ihre natürlichen Verwandten, ist unser Hausrind spezialisiert auf das Fressen von Gras. In der heutigen Welt wird den Kühen jedoch viel anderes wie z.B. Soja oder Mais gefüttert. Dieses Futter wird in den Mägen der Kuh zwar auch verwertet, jedoch viel weniger effizient als dies z.B. unser oder ein Schweinemagen kann. Deshalb gilt die Kuh weithin als schlechter Futterverwerter. Doch würde man den Menschen als schlechten Futterverwerter bezeichnen, weil er Gras nicht gut verdauen kann? Wohl eher nicht, weil Gras nun mal nicht zu unserer Ernährung zählt, genauso wenig wie Soja, Mais und Co. zur natürlichen Ernährung der Rinder gehört.

In der Schweiz sind ca. 80% der landwirtschaftlichen Fläche Grasland. Viel davon liegt in den Alpen. Dort kann man sonst kaum Lebensmittel produzieren. Wir sind also darauf angewiesen, dass die Kühe dieses Gras in Energie umwandeln und damit z.B. Milch produzieren, welche wir wiederum verwerten können.

Rinder sind darauf spezialisiert Gras zu fressen

Ohne Weidetiere kein Grasland, ohne Grasland keine Weidetiere

Rinder fressen also Gras. Doch was viele nicht wissen ist, dass Gras sogar gefressen werden will. Im Gegensatz zu anderen Pflanzen, welche sich durch z.B. Gift oder Dornen vor Frass schützen, braucht Gras die Beweidung der Tiere, um zu wachsen. Denn das Fressen löst beim Gras einen Wachstumsimpuls aus. Dies rührt daher, dass das Grasland über Jahrtausende in Co-Evolution von Gras und Grasern, also Weidetieren, entstanden ist. Ohne die Beweidung (oder heute oft auch das Mähen durch den Menschen) wird Grasland über kurz oder lang entweder zu Wald, Busch oder zu Wüste (je nach Temperatur und Bodenbeschaffenheit).

Nach der letzten Eiszeit war die natürliche Vegetation in Europa nicht etwa Wald, sondern Grasland. Erst als es etwas wärmer wurde, konnte sich der Wald wieder etablieren. Unter anderem auch, weil sich die Tiere wegen des Jadgdrucks des Menschen immer mehr zurückzogen und somit das Grasland nicht mehr beweideten. Dadurch konnte der Wald emporkommen.

Ohne Weidetiere gibt es kein Grasland

Grasland ist ein grosser CO2-Speicher

Über 50 Millionen km2, also etwa 40% der Landfläche unserer Erde ist heute von Grasland bedeckt. Es ist somit das grösste Biom auf der Welt und die erfolgreichste Permakultur. Von der heutigen Landwirtschaftsfläche sind sogar ca. 70% Grasland. Dieses Grasland hat mehr als einen Drittel des weltweiten Kohlenstoffspeichers unter sich in den Böden, mehr als alle Wälder zusammen. Doch woran liegt das? Und weshalb weiss kaum jemand davon? Gras ist nicht nur unterschätzt, sondern auch unterforscht. Die Potentiale von Gras werden nicht wahrgenommen und wir gehen meist schlecht damit um.

Durch die Photosynthese nehmen Pflanzen CO2 auf. Gräser speichern einen grossen Anteil davon in ihren Wurzeln unter der Erde. Das Verhältnis von Wurzelmasse zu oberirdischer Masse ist bei keiner anderen Pflanze so sehr auf Wurzelmasse ausgeprägt wie beim Gras. Die Photosynthese geht hier also direkt in die Wurzeln und somit in den Boden. Denn die Wurzeln werden mit der Zeit zu Humus und so wird der Kohlenstoff im Boden gespeichert. Mit jeder zusätzlichen Tonne Humus entlastet man die Atmosphäre um 1.8 t CO2. Das grosse Potential von Gras liegt auch in der Mehrjährigkeit und der langen Vegetationszeit.

Böden Kohlenstoff
Grasland ist ein wichtiger Kohlenstoffspeicher

Nachhaltige Bewirtschaftung ist wichtig

Die fruchtbarsten Böden der Welt wie z.B. die Prärie in Nordamerika sind Steppenböden, also Grasland. Hier wurde der Humus über Jahrtausende durch Gras und wandernde Weidetiere (in Amerika der Büffel) aufgebaut. Doch die meisten dieser Böden haben bereits einen Grossteil ihrer Fruchtbarkeit verloren, weil sie nicht nachhaltig bewirtschaftet werden. Eine nachhaltige Beweidung von Grasland erhält den Kohlenstoffspeicher und baut ihn sogar weiter auf. Denn durch die nachhaltige Beweidung von Grasland wird die Erosion und somit der Austritt vom gebundenen CO2 in die Atmosphäre verhindert.

Doch was zeichnet eine nachhaltige Bewirtschaftung aus? Ein wichtiger Punkt ist die Zeit zwischen der Beweidung, also die Erholungszeit für das Gras. Je nachdem wie viel vom Gras gefressen wurde, kann es direkt weiter Photosynthese betreiben und Kohlenstoff in den Wurzeln speichern, oder es muss seine Energiereserven aus den Wurzeln mobilisieren, um genügend oberirdische Masse herzustellen, um wieder Photosynthese betreiben zu können. Im zweiten Fall muss die Reserve in den Wurzeln danach wiederhergestellt werden, bevor neue Kohlenstoffspeicherung stattfinden kann. Kommt nun eine erneute Beweidung zu früh, dann hat das Gras weniger Reserven für eine Erholung. Wiederholt sich dies mehrmals, findet also eine Überweidung statt, führt dies schliesslich zum Absterben der Pflanze. Es ist also wichtig, dass das Gras zwischen der Nutzung genügend Regenerationszeit hat, um wieder Kohlenstoff in die Wurzeln und somit in den Boden zu bringen. Durch die Wanderung der natürlichen Weidetiere ist diese Regenerationszeit in der Natur gegeben.

Ein wichtiger Aspekt in der nachhaltigen Bewirtschaftung ist auch die biologische Produktion. Ein Langzeitversuch des FiBL konnte zeigen, dass in biologisch bewirtschafteten Parzellen 25% mehr Bodenlebewesen vorkommen. Diese sind wichtig für den Humusaufbau und damit ist die Bodenfruchtbarkeit auf diesen Flächen höher. Zudem sind die Lachgasemissionen durch die niedrigeren Stickstoffgaben im biologischen Landbau um 40% tiefer und pro Fläche wird zwischen 30-50% weniger Energie benötigt (FiBL Faktenblatt Boden und Klima).

MuKa
Ein nachhaltiges Managment ist in allen Punkten wichtig

Der Mensch bestimmt

Die Kuh per se ist also kein Klima-Killer. Die meisten solchen Berechnungen beziehen sich vor allem auf den Methanausstoss der Kuh. Für eine faire Betrachtung muss aber der ganze Kreislauf in Betracht gezogen werden. Eine Kuh in einem nachhaltig betriebenen Grasland-Produktionssystem weist eine ganz andere Klima-Bilanz auf, als eine nicht artgerecht gehaltene Kuh, welche intensiv mit Soja gefüttert wird, welches auch noch mit Kunstdünger produziert wurde und Regenwald verdrängt hat oder in Ackerkonkurrenz mit menschlicher Nahrung steht.

Es kommt also vor allem auf die Haltung und das Management der Kühe an. Sowohl die Fütterung, die Nutzungsdauer wie auch das Beweidungsmanagement spielen eine wichtige Rolle. Und darüber entscheidet nicht die Kuh, sondern der Mensch.